FRISCH AUF!-Fangeschichten Ausgabe #12

Die Kleinbus-Jahre – FRISCH AUF! in den späten 90ern

Wer heute zum ersten Mal das Live-Erlebnis Handball-Bundesliga in der EWS Arena miterlebt, den muss es geradezu mitreißen. Handball der Spitzenklasse in der stärksten Liga der Welt, live mit durchschnittlich fast 5.000 frenetischen Zuschauern in der modernen Arena – das lässt die wenigsten kalt. Da wirkt der Blick zurück in die Mitte der 90er Jahre fast schon wie der in eine andere Welt. An Stelle solch klangvoller Namen wie Kiel, Flensburg oder Magdeburg gastierten in diesen Jahren in der zweiten Bundesliga Vereine wie der TV Hüttenberg oder der TV Eitra in der damaligen Hohenstaufenhalle.

Der Verein stand nach dem Abstieg aus der zweiten Liga kurz vor dem Absturz in die sportliche Belanglosigkeit und verblieb lediglich durch die Gründung einer ungeliebten Spielgemeinschaft mit dem ehemaligen Lokalrivalen Scharnhausen unter deren Trainer Rolf Brack in der zweiten Liga. Es war eine Zeit, in der in Handball-Göppingen an sich nur noch eines glänzte – die Vergangenheit. Es war eine Zeit, in der FRISCH AUF! von seiner Geschichte lebte. Von Generationen von Göppingern, die glorreiche Spiele und Siege in der Bundesliga und im Europapokal miterlebten, die mit FRISCH AUF! in besseren Zeiten aufwuchsen und die FRISCH AUF! auch in diesen trostlosen Jahren zur Seite standen. Im Schnitt hatte Göppingen in diesen Jahren rund die Hälfte der heutigen Zuschauerzahlen in der Hohenstaufenhalle, das Umfeld hatte bei weitem nicht die heutige Professionalität, die wirtschaftliche Lage war stets prekär und die sportliche Situation hätte auch besser sein können.

Welche Faszination sollte der Verein in diesen Jahren auf Teenager ausüben, die die glorreichen Zeiten lediglich aus Erzählungen kannten? Warum gerade FRISCH AUF! in den 1990er Jahren? „Seinen Verein kann man sich nicht aussuchen – er sucht dich aus.“, schreibt Nick Hornby in seinem literarischen Fussball-Klassiker „Fever Pitch“. Nicht selten ist es der Heimatverein, der einen in seinen Bann zieht. Der Verein der Stadt, in der man aufwächst, auf die man stolz ist, in der man lebt, mit der man leidet und feiert. Und FRISCH AUF! steht für diese Identifikation mit Göppingen wie nichts sonst. Gerade in diesen Jahren der Zweitklassigkeit konnte man bei FRISCH AUF! stets erleben, dass der Verein immer größer und bedeutsamer war als seine Tabellensituation vermuten ließ. Und das war es, was mich und andere in diesen Jahren so an FRISCH AUF! begeisterte.

Denn der Mythos FRISCH AUF! zeigte sich gerade im Vergleich mit den Mannschaften der zweiten Liga ganz deutlich. Verglichen mit den heutigen Zuschauerzahlen mögen einem die 2.000 bis 3.000 Zuschauer aus diesen Tagen bei Heimspielen wenig vorkommen. Verglichen mit den paar hundert Zuschauern in den Gemeindesporthallen der Kontrahenten war Göppingen, was die Zuschauer anbelangte, in diesen Tagen in der zweiten Liga jedoch eine Klasse für sich und seinen Kontrahenten ausnahmslos überlegen. In den dunkelsten Stunden hatte FRISCH AUF! immer noch Zuschauerzahlen, die sich auf Erstliga-Niveau der 1990er Jahre bewegten. Und gleichzeitig war es nie nur die Mannschaft – es war immer auch der Verein, die Historie und die Stadt, die bei den Spielen in der Hohenstaufenhalle angefeuert und gefeiert wurden.

Dieser Mythos der Historie und die enge Bindung zur Heimatstadt waren es, die mich und andere in der zweiten Liga in den Bann von FRISCH AUF! gezogen haben. In diesen Jahren war es ein besonderes Gefühl, seinen Verein auswärts anzufeuern. In kleinen Gemeindesporthallen auf den Zweitliga-Handballdörfern vor mehreren hundert Zuschauern wurde einem beim Vergleich zu dem, was in Göppingen selbst in der zweiten Liga stattfand, stets klar, dass FRISCH AUF! mit seinem Publikum und seinen Möglichkeiten nicht in diese zweite Liga gehört. Die Auswärtsfahrten in diesen Jahren waren selten touristische Highlights. Sportliche Highlights waren sie noch seltener. Dennoch waren sie für mich rückblickend ganz speziell und Erlebnisse, an die ich auch heute noch oft und gerne zurückdenke. Es waren Fahrten nach Leutershausen, Willstätt oder Hüttenberg, meist mit einem oder zwei Kleinbussen.

In aller Regel gemietet von den Mitgliedern des Fanclubs Grün-Weiß, die damals alles organisierten. Ehrenamtlich, mit wahnsinnig viel Herzblut und mit einer erstaunlichen Offenheit gegenüber jedem Neuen, der sich für ihre Leidenschaft FRISCH AUF! interessierte. Sie waren zwar der harte Kern, der FRISCH AUF! über Jahre, wenn nicht über Jahrzehnte hinweg unterstützte – untypischerweise habe ich sie jedoch nie als verschlossene Gruppe wahrgenommen. Bei ihnen war zu dieser Zeit stets jeder willkommen und Teil des Ganzen, der, wie sie, mit FRISCH AUF! mitfieberte. Auch wenn wir ihre Toleranz in diesen Jahren mit teilweise grenzwertigen Aktionen jugendlicher Provokation unter Umständen in einigen Fällen überstrapaziert haben – man fühlte sich dennoch stets willkommen.

Es war sicherlich gerade bei den Auswärtsfahrten in den Jahren der zweiten Liga auch die Atmosphäre des Überschaubaren, die das Ganze damals so speziell machte. Die Tatsache, dass FRISCH AUF! zwar in Dörfern gastierte bei Auswärtsspielen, FRISCH AUF! aber häufig mehr Fans mitbrachte als heute die großen Vereine in der Handball-Bundesliga, wenn sie in Göppingen spielen. FRISCH AUF! war in diesen Jahren noch weit mehr ein kleiner Mikrokosmos als er es heute vielleicht immer noch ist. Und am Ende war für mich in diesen Tagen der gefühlte Anteil jedes einzelnen an FRISCH AUF! ein ungleich höherer als dies heute der Fall ist. Gleichzeitig war die Identifikation der Spieler, die damals vielfach noch aus der Region stammten, eine andere. Aber waren es bessere oder schlechtere Zeiten? Keine Frage – hätte mir damals einer die Geschichte von FRISCH AUF! in den nächsten 20 Jahren erzählt, ich hätte sie ihm wohl kaum geglaubt. Der Aufstieg 2001 in die erste Liga, regelmäßige Live-Übertragungen im TV, der zweimalige Europapokal-Gewinn, der Ausbau der Hohenstaufenhalle mit einem Zuschauerschnitt von fast 5.000 Besuchern – all das war damals maximal als wilde Fantasie zu späterer Stunde nach einigen Gläsern Bier vorstellbar.

Insofern ist es gerade aus damaliger Sicht Wahnsinn, heute diesen Kontrast zu damals erleben zu dürfen und gleichzeitig die Gewissheit zu haben, dass, im Gegensatz zu den teilweise vom Mäzenatentum finanzierten Vereinen der Bundesliga, FRISCH AUF! auch in der sportlichen Bedeutungslosigkeit immer ein großer Verein war – und bleibt. Was für mich bleibt aus dieser Zeit ist das Gefühl, in diesen Tagen ein aktiver Teil von FRISCH AUF! gewesen zu sein. In eher tristen Zeiten ohne Glanz und Gloria. Jedoch in Zeiten, aus denen einem mehr noch die kleinen Randgeschichten und Anekdoten in Erinnerung geblieben sind als die Spiele selbst.

Eric